Die SPD-Basis hat gesprochen und dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Damit ist auch klar, dass das 179-seitige Papier die Grundlage für die Energie- und Klimapolitik der kommenden knapp vier Jahre darstellen wird. Die Redaktion von EUWID Neue Energie hat den Koalitionsvertrag analysiert, die Aussagen zu zehn Schlüsselthemen der Energiewende zusammengeführt und an der Bewertung durch Branchenverbände gespiegelt. Fragen und Antworten zum Thema Elektromobilität und Verkehrswende finden Sie hier.

1. Erneuerbare Energien

Erneuerbare Energien im Koalitionsvertrag

► Etwa 65 Prozent Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch werden bis 2030 gestrebt.

► Deutliche Erhöhung des Ausbaus durch zusätzlichen Strombedarf (Verkehr, Gebäude, Industrie).

Sonderausschreibungen: Onshore-Wind (4 GW), PV (4 GW) und Offshore-Wind (nicht beziffert), je zur Hälfte wirksam 2019 und 2020.

Synchronisation Ausbau Erneuerbare und Netzkapazitäten; Mindestanteil für Ausbau Erneuerbarer südlich des Netzengpasses.

Standortgemeinden stärker an Wertschöpfung von EE-Anlagen beteiligen.

“Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag zum Pariser Klimaschutzabkommen und zu einem deutlich schnelleren Ausbau Erneuerbarer Energie bekannt”, heißt es beim Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE). Der VDMA macht darauf aufmerksam, dass das Versprechen, das 2030-Klimaschutzziel verbindlich zu erreichen, nur dann nicht zur leeren Hülle wird, wenn die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deutlich steigt.

Um die erhoffte Wirksamkeit bereits im nächsten Jahr zu erreichen, sei eine Aufstockung des Solarpark-Auktionsvolumens noch in diesem Frühjahr erforderlich, merkt der BSW-Solar an. Im für 2019 angekündigten Klimagesetz müssten Auktionsvolumen in der Größenordnung von jährlich drei Gigawatt auch für die Folgejahre fixiert werden.

2. Bioenergie

Bioenergie im Koalitionsvertrag

► “Bioenergie trägt zur Erreichung der Klimaziele im Energie- und Verkehrssektor bei“, heißt es im Koalitionsvertrag

► Bestand von Bioenergieanlagen soll im Zuge der Ausschreibungen weiterentwickelt werden.

Reststoffverwertung soll verstärkt durch Einsatz von Blühpflanzen erhöht werden.

Die ausdrückliche Erwähnung der Bioenergie bewertet der BEE positiv. Im Wärme- und Verkehrssektor seien deutliche Impulse nötig, um den Stillstand der letzten Jahre zu überwinden.

Es sei “folgerichtig und notwendig”, dass Union und SPD den Bestand an Bioenergieanlagen im Zuge der EEG-Ausschreibungen weiterentwickeln wollen, heißt es von Seiten des Bundesverbands Bioenergie und weiterer Branchenverbände. Hierfür würden Nachbesserungen am Design der Ausschreibung benötigt.

Der Biogasrat+ begrüßt es, dass im Verkehrsbereich, einem der Hauptemittenten klimaschädlicher Gase, die Treibhausgas-Minderungsquote weiterentwickelt und die Biokraftstoffförderung unter Einsatz von Rest- und Abfallstoffen sowie auf pflanzlicher Basis vorangetrieben werden soll.

3. Netzausbau

Netzausbau im Koalitionsvertrag

► “Ambitionierter Maßnahmenplan” zur Optimierung der Bestandsnetze und zum schnelleren Ausbau der Stromnetze. Ziel: höhere Auslastung bestehender Netze durch Digitalisierung, Zusammenarbeit und neue Technologien.

► Mehr Akzeptanz für den Netzausbau schaffen; Beschleunigung durch Erdverkabelung insbesondere im Wechselstrombereich.

► Ab Anfang 2019: Stresstest für das Netz zur Bewertung der Entwicklung von Netzengpässen.

► Schnelle Verabschiedung von Verordnung zur Umsetzung der Übertragungsnetzentgeltreform.

► Reform der Netzentgelte: Verursachergerecht und unter Berücksichtigung der Netzdienlichkeit verteilen; mehr Flexibilität für Stromverbraucher.

► Verteilnetze: Investitionen in intelligente Lösungen (Digitalisierung) flankieren und Regulierungsrahmen entsprechend anpassen.

“Positiv am Koalitionsvertrag ist das Bekenntnis zur einer Netzentgeltreform, um die Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch voranzubringen”, heißt es beim bne. “Auch die Absicht, die Rahmenbedingungen für Investitionen in Netzintelligenz zu verbessern, begrüßen wir.”

Der VKU begrüßt, dass sich Digitalisierung als Querschnittsthema durch den Entwurf des Koalitionsvertrags zieht und als Schwerpunktthema mit anspruchsvollen Zielen gesetzt wird. “Der notwendige Umbau zu intelligenten Systemen (“Smart Grids”) erfordert Investitionen in Technologien und Verfahren: Daher ist der adressierte Anpassungsbedarf der Regulierungsbedingungen für intelligente Lösungen im Verteilnetz richtig.”

4. Bürgerenergie

Bürgerenergie im Koalitionsvertrag

► Akteursvielfalt soll sichergestellt werden, in Windausschreibungen werden ausschließlich BImSchG-genehmigte Projekte zugelassen.

► Möglichkeiten einer Projektbeteiligung von Bürgern verbessern, “ohne dass dies insgesamt zu Kostensteigerungen beim EE-Ausbau führt”.

Mieterstrom: Optimierung der Regelungen (Gewerbesteuerprivileg für Wohnungsbaugenossenschaften schützen).

Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) betrachtet es als “erfreulich”, dass im Koalitionsvertrag die Beseitigung einer Investitionshürde beim Thema Mieterstrom vorgesehen ist.

5. Energiespeicher

Energiespeicher im Koalitionsvertrag

► Stärkere Marktorientierung der Erneuerbaren soll Investitionen in Speichertechnologien und intelligente Vermarktungskonzepte fördern.

Unterschiedliche Belastung von gespeicherter Energie soll geprüft und vereinheiticht werden.

► Forschungs- und Fördermittel bereitstellen; Fraunhofer-Institut für Speichertechnologien einrichten.

► Deutschland soll wieder Standort für Batteriezellproduktion werden.

► Ehemalige Kraftwerksstandorte für “große thermische Speicher-Kraftwerke” nutzen.

► Speicher sollen mehrere Dienstleistungen gleichzeitig erbringen können, z.B. Regelenergie und Mieterstrom.

Der Bundesverband Energiespeicher begrüßt die Ausrichtung der Koalitionäre im Bereich Energiespeicher. “Von dieser Grundlage müssen nun konkrete politische Handlungen abgeleitet werden”, heißt es beim Verband. Die Einstufung von Speichern als Letztverbraucher und die damit verbundene Mehrfachbelastung gespeicherter Energie durch Abgaben und Umlagen müsse abgeschafft werden, fordert der BVES.

Auch die Perspektiven in Richtung verbundener Dienstleistungen freuen den BVES. “Errichter und Betreiber von Speichern sollten Zugang zu modernen Geschäftsmodellen haben und damit auch etwa Netzbetreibern der Zugriff auf Speicherkapazitäten eingeräumt werden.”

6. Sektorkopplung

Sektorkopplung im Koalitionsvertrag

► Sektorkopplung in Verbindung mit Speichertechnologien voranbringen. “Schlüsselposition” für Stadtwerke und Verteilnetzbetreiber durch Nähe zu Energieproduzenten und Verbrauchern.

Wasserstofftechnologien stärken.

► Planung und Finanzierung von Energieinfrastrukturen einschließlich Gas- und Wärmeinfrastruktur für die Sektorkopplung so reformieren, dass verschiedene Infrastrukturen “koordiniert energiewendetauglich und kosteneffizient weiterentwickelt werden”.

► Deutschland soll zum Standort für LNG-Infrastruktur gemacht werden.

Der BVES verweist auf eine “Vielzahl an Speichertechnologien und Anwendungsmöglichkeiten von Speichertechnologien, die im Zuge der Sektorkopplung gewinnbringend eingesetzt werden können. Nach Einschätzung von Greenpeace Energy ist der Ausbau von Power-to-Gas in dieser Legislaturperiode erforderlich, “spätestens bis 2030 für 65 Prozent Erneuerbare”.

Nach Einschätzung des BSW-Solar ist die von Union und SPD angestrebte stärkere Nutzung von Ökostrom im Mobilitäts- und Wärmesektor (Sektorkopplung) ohne konsequente Entlastung der klimafreundlichen Eigen- und Direktversorgung von Umlagen und Abgaben “kaum realisierbar”. Damit Strom, Wärme und Mobilität zu einem gekoppelten Energiesystem zusammenwachsen können, bedürfe es einer Reform des Steuern-, Abgaben-, Umlagen- und Entgeltsystems im Energiebereich, betont auch der BEE.

7. Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)

KWK im Koalitionsvertrag

KWK weiterentwickeln und “umfassend modernisieren”. KWK CO2-ärmer ausgestalten und flexibilisieren.

KWK und Fernwärmeinfrastruktur ausbauen und effizienter machen.

Die Klimaschutztechnologie KWK könne neben der effizienten Erzeugung von Wärme und Strom auch eine wesentliche Rolle beim Umbau des Kraftwerksparks einnehmen, indem sie vor Ort für Versorgungssicherheit und Flexibilität sorgt, glaubt der VKU. “Die Kombination von Strom-, Wärme- und Gasinfrastrukturen für die Entwicklung eines nachhaltigen Energieversorgungssystems ist daher von zentraler Bedeutung.”

Der Verband für Wärmelieferung hält es für “unbedingt” erforderlich, dass “nicht wieder eine Diskriminierung zwischen Eigenversorgung und Energiedienstleistung aufgebaut wird”.

8. Energieeffizienz

Energieeffizienz im Koalitionsvertrag

Ambitionierte und sektorübergreifende Energieeffizienzstrategie des Bundes erarbeiten und Leitprinzip “Efficiency First” verankern. Ziel: Energieverbrauch bis 2050 um 50 Prozent senken.

Nationaler Aktionsplan Energieeffizienz (NAPE) soll basierend auf Ergebnisses des Grünbuchs Energieeffizienz weiterentwickelt und “schnellstmöglich umgesetzt” werden.

► Bestehende Programme zur Förderung der Energieeffizienz sollen bewertet und “nutzergerecht optimiert” werden. “Wir wollen die Fördermittel auf dem derzeitigen Niveau stabilisieren.”

Energieberatungen sollen ausgebaut werden.

Aus Sicht der Deneff ist “lobenswert”, dass bereits in der Präambel der Anspruch geäußert wird: „Wir machen Deutschland zur energieeffizientesten Volkswirtschaft der Welt“. Der VfW lobt den roten Faden der Digitalisierung, sieht aber Handlungsbedarf, “insbesondere bei den Themen Wärmewende sowie Gleichstellung von Eigenversorgern und Energiedienstleistern“.

Kritischer äußert sich der VDMA: Das Koalitionspapier bleibe mit der angekündigten Erarbeitung einer ambitionierten und sektorübergreifenden Energieeffizienzstrategie des Bundes sehr im Vagen. Der VKU ergänzt: “Nur mit einem wettbewerblich organisierten Energiedienstleistungsmarkt wird es möglich sein, die bestehenden Effizienzpotenziale in Wirtschaft und Privathaushalten zum Gelingen der Energiewende zu heben.”

9. Gebäudesanierung

Gebäudesanierung im Koalitionsvertrag

CO2-Gebäudesanierungsprogramm soll fortgesetzt werden. “Der Austausch von alten, ineffizienten Heizungsanlagen gegen moderne, hocheffiziente Heizungen (auch Brennwertkessel) wird weiterhin zur Erreichung unserer Klimaziele gefördert.”

► Energetische Gebäudesanierung soll steuerlich gefördert werden. Wahlrecht zwischen Zuschussförderung und Reduzierung des zu versteuernden Einkommens. Steuerliche Förderung von mehr Wohneigentum (AfA, energetische Gebäudesanierung, Förderung Eigentum für Familien) mit insgesamt 2,0 Mrd. € im Zeitraum 2018 bis 2021.

► Beschleunigung der Energiewende im Wärmesektor; Einsatz erneuerbarer Energien im Gebäudebereich. “Dabei gelten für uns weiterhin Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, der Technologieoffenheit, der Vereinfachung sowie der Freiwilligkeit.” CO2-Einsparungen sollen auf Quartiersebene bilanziert werden.

► EnEV, EnergieeinsparG und EEWärmeG sollen in modernem Gebäudeenergiegesetz zusammengeführt werden. Umsetzung bis Anfang 2019 für öffentliche Gebäude und bis Anfang 2021 für alle Gebäude.

Öffentliche Gebäude: Gebäudeeffizienzerlass und energetischer Sanierungsfahrplan für Bundesliegenschaften geplant.

► Besondere Förderung von technologischen Innovationen im Gebäudebereich.

Eine sektorübergreifende Energieeffizienzstrategie zur Umsetzung des Prinzips ‘Efficiency First’ ist längst überfällig”, schreibt die Deneff. Gefahr lauere aber im Detail: Im Gebäudebereich könnte eine einseitige Umstellung der Energieeffizienzanforderung auf CO2 die “teure Verschwendung von Ökostrom” bewirken. “Das kann auch wichtige Vorhaben wie die geplante Steuerförderung für die Gebäudesanierung konterkarieren.” Eine wirkungsvolle Energieeffizienzstrategie müsse auch für die Industrie bessere Anreize setzen. Eine beschleunigte AfA für Energieeffizienz-Investitionen und kluge Effizienzanforderungen im Gegenzug für Privilegien bei Energieabgaben und Steuern könnten das geplante Förderprogramm ‚Dekarbonisierung in der Industrie‘ sinnvoll ergänzen.

Der BDH bewertet die Zusammenführung dreier Gesetze und Verordnungen zum Gebäudeenergiegesetz (GEG) und die damit einhergehende Entbürokratisierung des Ordnungsrechts positiv. Auch die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung trifft auf Zustimmung des Verbandes. „Dieses Instrument wird für eine spürbare Marktbelebung sorgen, wenn es richtig ausgestaltet wird“. Auch die EE-Branche begrüßt die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung. “Sie muss aber sehr schnell umgesetzt werden und rückwirkend zum Jahresanfang 2018 in Kraft treten, um einen gefährlichen Attentismus im Markt zu verhindern“, betont der BSW-Solar.

10. Energieforschung

Energieforschung im Koalitionsvertrag

► Forschung vermehrt auf Energiewende ausrichten und “neue Formate der Vernetzung” schaffen.

Entwicklung CO2-armer Industrieprozesse bzw. zur CO2-Kreislaufwirtschaft bereitstellen.

► Übergang von Forschung in den Markt unterstützen und “Reallabore” als weitere Säule der Energieforschung ausbauen (z.B. für PtG- und PtL-Konzepte).

► In der Forschungsinitiative Zukunft Bau sollen CO2-neutrale Gebäudekonzepte in den Blick genommen werden.

Systemlösungen erforschen, insbesondere für die Sektorkopplung von Strom-Mobilität-Wärme.

Das Konzept der Reallabore wird für Infrastrukturtechnologien nötig sein, so der VDMA. “Die Festlegung, wie diese Projekte gestaltet werden und welche Technologien Berücksichtigung finden, muss aber sehr transparent und zukunftsgerichtet erfolgen.“